Cultural Studies und Musik
(Musiksoziologie)

I. Einleitung
Die Arbeit von Ralf Hinz beschäftigt sich mit den Betrachtungsweisen populärer Kultur in der Wissenschaft und dem Journalismus. Dabei gilt sein Interessen vor allem den anglo-amerikanischen Cultural Studies, die seit etwa vierzig Jahren dort betrieben werden und neue Perspektiven der intellektuellen Beschäftigung mit populärer Kultur aufzeigen. In der Bundesrepublik sind diese Studien noch relativ unbekannt, daher versucht Hinz Wichtigkeit und Inhalte zu verdeutlichen. Dies geschieht, indem er zunächst soziale und ökonomische Bedingungen von Popkultur erläutert, dann Kritik an der bis dahin stattgefundenen Jugendsoziologie übt und anschließend einige wichtige Punkte aus den Cultural Studies vorstellt. Um die Nähe der Cultural Studies zum Musikjournalismus zu verdeutlichen, befaßt er sich anschließend mit Fanzines, welche den real existierenden Underground repräsentieren und zwei Musikzeitschriften (Spex, Sounds), da er diesen ein international beachtliches intellektuelles und ästhetisches Niveau bescheinigt. Seine Erläuterungen zu den beiden Zeitschriften und dem Phänomen Fanzine sind hier zusammengefaßt.

II. Fanzines
Die Schreibweise über Popmusik änderte sich mit der Entstehung des Punk ab 1976. In dieser Zeit entstehen viele neue Bands, ob nun im Punk- oder etwas später im New Wave. Die Medien widmen sich hierzulande den neuen Stilistiken mit einiger Verzögerung im Gegensatz zur englischen und amerikanischen Musikpresse, wo man sich schon länger mit den Phänomenen beschäftigt. In deutschen Zeitschriften und Fanzines wir zunächst weiter an einer Rockideologie festgehalten, d.h. die neue Musik wird anfangs als inauthentische Modeerscheinung abgestempelt und später der Rockmusik zugerechnet. In Fanzines, die ein Medium subkultureller Selbstverständigung darstellen, werden Vorlieben und Abneigungen von den Redakteuren bewußt formuliert. Sprachlich-intellektuelle Standards und kommerzielle Aspekte werden weniger beachtet, als bei Zeitschriften. Ralf Hinz beschäftigt sich mit Fanzines, die zwischen der Mitte der achtziger Jahre und Ende 1994 entstanden. Er spart sowohl rassistische und faschistischen Fanzines, als auch Fanzines aus dem Independent und Wave Bereich aus, da er die Schreibweise und die Musik letzterer als schwerfällig und langweilig empfindet. Es bleiben zahlreiche Hardcore- und Punkzines, einige HipHop- und Techno- Magazine, sowie Zines, die sich mit vielfältigen Interessen beschäftigen. Bei einer Schematisierung gilt es zu berücksichtigen, daß es eine Reihe von Ausnahmen gibt, da man natürlich um Besonderheiten bei den Fanzines bemüht ist. Die Wurzeln dieser Szene sind also im aufkommenden Punk in England festzustellen. Das Aussehen und Verhalten der ersten Punks führte zu einigen Verunsicherungen in der Bevölkerung. Vertreter der Cultural Studies bezeichneten dies als „moral panic“. In der Bundesrepublik gab es ähnliche Anzeichen in Verbindung mit den Chaos-Tagen 1994 und 1995. Das Neue an den Fanzines war, daß nun auch Jugendliche aus der Unterschicht ihre Meinung öffentlich artikulieren konnten. Daher ist auch der Schreibstil solcher Magazine oft durch Fehler formeller oder grammatikalischer Art gekennzeichnet. Die Machart ist dagegen häufig unkonventionell und phantasievoll. Eine dieser neuen Methoden ist Graffiti, was bei Fanzines und Plattencovern eingesetzt wird. Fanzines richten sich nicht an ein Massenpublikum, sondern an kleinere Kult-Cliquen. Man sammelt Fakten und Klatsch aus der Szene und verteidigt die jeweilige Musik gegen Angriffe von Außen auf zum Teil sehr heftigen Art und Weise. „ Es geht in den meisten Fanzines zwar vorrangig um Musik um ihren integralen Stellenwert im alltäglichen Leben im Gegensatz zum folgenlosen Musikkonsum der Mainstream-Produkte; darüber hinaus sind aber auch politische Themen, der Zustand der eigenen Szene, mehr oder weniger ästhetisch-literarisch artikulierte Vorlieben, Abneigungen und Selbstinszenierungen zentrale Inhalte von Fanzines“. ( Hinz, Cultural Studies 147). Fanzines und deren Autoren nehmen damit eine sehr wichtige Rolle, bei der Diskussion über Rockmusik ein. Viele Autoren und Kritiker von Musikzeitschriften ziehen Informationen heraus, um den jeweiligen Stil und sein gesamtes Umfeld besser kennen zu lernen. Um Fanzines von Musikzeitschriften abzugrenzen kann man einfache Kriterien heranziehen. Normalerweise erkennt man Fanzines daran, daß sie relativ unregelmäßig erscheinen, eine geringe Auflage haben, ein technisch anspruchsloses Layout aufweisen, vorwiegend subjektive Konzertberichte, Interviews und Kritiken enthalten und sich Bands widmen, welche nicht dem Mainstream entsprechen. (Vgl. Hinz, Cultural Studies 148). Mängel beim Layout sind nicht immer auf die finanziellen oder technischen Problemen zurückzuführen, sondern dienen manchmal zur Identifizierung mit dem Magazin. Sobald ein solches Magazin seinen Inhalt oder die Erscheinungsform ändert, treten Stimmen auf, die von Kommerzialisierung und Ähnlichem reden. Man ist fest mit den Fans ( Lesern) verwurzelt und daher müssen bestimmte Erwartungen erfüllt werden, um die Leserschaft nicht zu verärgern. Betrachtet man Einzelfälle zur Unterscheidung von Musikzeitschrift und Fanzine, so kann man z.B. bei der Zeitschrift Spex, zumindest zu deren Anfängen optisch und inhaltlich ein gewisse Verwandtschaft mit Fanzines feststellen. Kriterien, die Spex zu einer Musikzeitschrift erheben sind das berücksichtigen unterschiedlicher Stilrichtungen und erfolgreicher Musiker, deren Musik von unterschiedlichsten Leuten konsumiert wird, nicht von eingeschworenen Szenen und elitären Fanzirkeln. Ein typisches Fanzine ist ZAP, daß von 1993 bis 1997 existierte und sich fast ausschließlich mit Musik aus dem Hardcore-Bereich beschäftigte. Auf pop- intellektuelle wurde dort im Gegensatz zu Spex gänzlich verzichtet. Ein wichtiger Aspekt im Zusammenhang mit Fanzines ist die meist problematische finanzielle Situation, die häufig der Ausgangspunkt für unregelmäßiges Erscheinen und die hohe Fluktuation in diesem Bereich ist. Hauptgrund dafür ist das bewußte Verzichten auf Werbeanzeigen oder die sehr selektive Nutzung dessen. Wenig Marktpotential und zumeist nicht sehr zahlungskräftiges Publikum führen zudem oft dazu, daß Fanzines für Firmen, die ihre Werbung schalten wollen, nicht besonders attraktiv sind. (Vgl. Hinz, Cultural Studies 151). Seit Beginn der neunziger Jahre hat sich dieses Faktum durch Bands wie Nirvana, die ein breites Publikum begeistern, allerdings geändert. Bei dem Versuch einer Typologisierung von Fanzines unterscheidet Hinz vier verschiedene Typen. Als erstes nennt er jene, die auf ein musikalisches Idiom ausgerichtet sind, die sich also einer speziellen Richtung, sei es nun Hardcore, HipHop oder Techno verschrieben haben und selten politisch ausgerichtet sind. Ein zweiter Typ ist in geringem Umfang politisch ausgerichtet. Man identifiziert sich mit anarchistisch-libertären Vorstellungen und der Politik autonomer Gruppen. Hardcore und Punk ist die Musik dieses Typs. Die Magazinen heißen Bullenpest, All for noise oderTrust. Desweiteren nennt Hinz jene Magazinen, die Innovationen musikalischer Art ablehnen und betont unpolitisch sind. Hierzu zählen Scumfuck Tradition und Zosher. Als letzten Typ nennt er diejenigen Fanzines, die sich nicht vorrangig der Musik widmen, sondern fiktive und selbsterlebte Geschichten auf satirisch-kritische Art und Weise darbringen. Erwähnt werden Sturm und Drang, Speedshit, Trash, Think und Der kosmische Penis. Polemische Attacken, Begeisterungen für Bands, die den Vorstellungen der Autoren entsprechen und Verbundenheit mit der lokalen, regionalen und nationalen Szene sind typische Stilmittel von Fanzines. Konzert- und Plattenkritiken sind meistens positiv gestaltet. Außerdem ist die Benutzung der ersten Person Singular in den Berichten durchaus üblich. Man ist im Gegensatz zur Musikzeitschrift keinem Objektivitätsideal verpflichtet. Spezifische Erkennungsmerkmale erscheinen immer wieder und binden das Zine an eine bestimmte Szene. Es gibt eine Vielzahl unterschiedlichster Fanzines, denen jedoch gemeinsam ist, daß sie Mainstreamprodukte und intellektuell überzogenen Umgang mit populärer Kultur ablehnen. „ Mit dem breiten Erfolg von Gruppen und Musikern aus der „Alternative Nation“ gerät jedoch das anti-kommerzielle Ethos der Fanzine-Welt in Bedrängnis“. ( Hinz, Cultural Studies 155). Die Haltung von Fanzines hat nach Hinz sowohl Stärken als auch Schwächen, da die Selbstgefälligkeit zu einer Verengung des geistigen (musikalischen) Horizonts führen kann.

III. Musikkritik
Bei der Auseinandersetzung mit journalistischer Schreibweise in Musikzeitschriften dienen Sounds und Spex als Beispiel. Dabei steht dann wiederum deren Beschäftigung mit Plattenkritiken im Vordergrund. Für solche Kritiken ist oft nur wenig Platz vorgesehen. Es gilt also alle erwähnenswerten Aspekte kurz und knapp zu bündeln, um dem Leser schließlich plausibel nahe zu bringen, ob er die Platte kaufen soll, oder nicht. Allgemein nehmen aber nur wenige Leute Notiz davon. Das Interesse ist sozio-kulturell begrenzt, da eine solche kritische Betrachtungsweise von Popmusik nur in kleine Kreisen akademisch sozialisierter Musikliebhaber eine Rolle spielt. Die meisten Leute verschaffen sich ihre Informationen über Radio und Fernsehen. Die Verwendung einer polemischen Rhetorik der Abgrenzung und der Versuch der Popmusik einen politischen Charakter zu verleihen, sind typischen Merkmale avancierter Schreibweisen in Musikzeitschriften (Vgl. Hinz, Cultural Studies 157). Plattenkritiken beziehen sich auf einen gut fixierbaren Gegenstand, obwohl bei einigen Besprechungen die Platte selbst in den Hintergrund gerät, da man autobiographische Elemente einbringt oder sich fiktionaler Prosa bedient. Anspielungen auf intellektuelle Moden und politische oder sozio-kulturelle Aspekte werden so verwendet, daß die Leserschaft sie nachvollziehen kann. „Das avancierte Schreiben über Popmusik zeichnet aus, daß es Musik als eine sinnlich erfahrbare, umgehend erreichbare Form gesteigerten Lebens erstehen läßt oder jene zum Inbegriff all dessen gerät, was an der Gegenwart schlecht und verabscheuenswürdig ist“ (Hinz, Cultural Studies 158). Mit Hilfe von wertenden Adjektiven kann ein Autor sein Publikum für das Produkt euphorisieren oder desillusionieren. Plattenkritik fungiert daher auch als Vermaktungsmaschinerie der Musikindustrie. Gleichgesinnte sollen sich finden und ihre Ansichten und Erfahrungen austauschen. Die Schreibweise ist in Plattenkritiken dadurch bestimmt, daß man immer auf der Suche nach dem einzigartigen Kunstwerk ist. Hierbei wir respektloser und damit erfrischender mit Wertungen hantiert, als im E-Musik Bereich. Die Zukunft der Popkritik hängt davon ab, wie gut die Qualität des behandelten Gegenstandes ist und in welcher Weise darüber geschrieben wird. Eine qualitativ hochwertige Kritik sollte zu einer intensiven Auseinandersetzung mit Text und musikalischen Elementen anregen und somit den Live-Auftritt einer Band, der nicht so oft stattfindet, auf eine bestimmte Art und Weise ersetzen können. Es hat sich herausgestellt, daß knappe Beschreibungen und manchmal maßlose Übertreibungen sowie die Kritik an einzelnen Musikern (Virtuosenkritik) einer Popkritik dienlicher sind als ästhetisierende Assoziationen. Bei Stilen wie Punk oder Techno fällt eine solche Virtuosenkritik natürlich weg, aber im gehobenen Mainstream ist sie durchaus üblich und auch erwünscht. Sowohl bei Sounds als auch bei Spex ist man der Ansicht, daß ein intellektuelles Publikum nur durch überzeugende Argumente und Ansichten aus dem Bereich des „theory talk“ von neuen Werten und Musikstilen überzeugt werden kann. Die Erfolgsaussichten hängen dabei stark vom Prestige des „theory talk“ in der Öffentlichkeit ab. Es besteht jedoch die Gefahr, daß Personen mit niedrigerer Bildung zusätzlich abgeschreckt werden.

IV. Sounds
Die Musikzeitschrift Sounds erscheint erstmals 1966. Das Hauptthema ist zu dieser Zeit die Beschäftigung mit den Entwicklungen im Jazz. Anfang der siebziger Jahre ändert sich dies. Man schreibt mehr über Rockmusik und erfüllt bald die Standards des Rock-Journalismus. Wenn über Jazz berichtet wird, so handelt es sich zumeist um Jazz-Rock-Bands, die in diesen Jahren den Jazz zu kommerziellem Erfolg verhalfen. 1977 schwankt die Auflage von Sounds zwischen 40000-70000 Exemplaren. Der Verkaufspreis liegt bei 2.50 DM, was für die Zeit recht hoch ist. Das Magazin beschäftigt sich ernsthaft und massenhaft mit populärer Musik und stellt somit eine Ausnahme dar. Das Heft 8/77 hat einen Heftumfang von 64 Seiten, der Werbeanteil beträgt 25%, den Plattenkritiken stehen 8 Seiten zur Verfügung, andere kulturellen Rubriken, wie Bücher und Filme gesteht man nur 5 Seiten zu (vgl. Hinz, Cultural Studies 168). Der politische Aspekt spielt keine besondere Rolle bei der Berichterstattung. Lediglich bei Besprechungen über die Musik von Liedermachern oder ähnlichem treten gelegentlich politische Kommentare in Erscheinung. Mit Punk und den Folgeerscheinungen konnte man bei Sounds zunächst nichts anfangen, da man ein gewisses Anspruchsniveau musikalischer Art voraussetzte. Dies änderte sich als Diedrich Diederichsen der Redaktion beitrat. Ab diesem Zeitpunkt wurden grundsätzliche Überlegungen zum politischen und zum ästhetischen Stellenwert von Popmusik vorgenommen. Die Seitenzahlen für Plattenkritiken werden erhöht und mehr Bildmaterial wird verwendet. Die Schreibweise ändert sich in der Art, daß man nicht mehr wie in der Bildungsmusik üblich alle Ausprägungen der Musik beschreibt und sich somit an der Komplexität erfreut, sondern polemische Kommentare und Einschätzungen vornimmt. Bei den Schreibweisen von 1976-1978 kann man drei verschiedene Methoden erkennen. Eine Fraktion von Autoren berichtet betont unpersönlich, ein andere drückt sich mit subjektiven Empfindungen aus, während eine weitere sich Autoritär präsentiert (Vgl. Hinz, Cultural Studies 171). Wenn Platten besprochen werden, die der Rock-Sensibilität entgegenkommen, so werden diese auch mit den dazu üblichen Floskeln versehen. Sätze, wie: „Die Band geht gut los“ und ähnliches kommen immer wieder vor, während bei Jazzplatten eher eine Anhäufung von Adjektiven, die zur Beschreibung dienen sollen, vorzufinden ist. Energie, Gemeinschaft und Authentizität sind die wichtigsten Attribute, die dem Rock zugeschrieben werden. Diese werden auch von den Sounds-Redakteuren in Kritiken immer wieder beschworen, da es auch in ihrem Sinne ist. Somit sind zu dieser Zeit, von 1976-1978, natürlich auch die meisten Leser von Sounds dem Rock und Progressiv-Rock zugewendet und können mit den Strömungen des Punk nichts anfangen. Oft wird Platten in Kritiken von Sounds ein hoher rhetorischer Stellenwert zu Teil, wobei sich die Rockfraktion etwas weniger mit textlichen Aussagen beschäftigt und sich statt dessen den musikalischen Aussagen widmet. Auch Szenespezifischer Humor ist ein beliebtes Stilmittel. Manchmal fällt dieser sehr polemisch aus, aber an anderen Stellen wird mit feinen satirischen Bemerkungen z.B. Kritik an Marketingstrategien und der Musikindustrie allgemein geübt. Hinz unterscheidet bei seinen Kommentaren zwischen jenen Autoren feuilletonistischen Ursprungs und den weniger feinsinnigen Rock-Anhängern, wobei er beiden Fraktionen eine Ablehnung von Punkmusik zuschreibt. Zwischen 1977 und 1979 nähert man sich dann aber doch dem Punk und New Wave an. Ein wichtiger Autor in diesem Zusammenhang ist Hans Keller. Auch wenn seine Einschätzungen manchmal etwas fragwürdig sind, so gelingt es ihm doch über Punk und später über New Wave zu schreiben, ohne dabei Vergleiche mit Rockmusik anzustrengen. Anfang der achtziger Jahre gelingt den Sounds-Redakteuren allmählich die Loslösung vom Rock-Journalismus. A. Hilsberg schreibt über die durch Punk und New Wave veränderte Musikszene und gründet ein eigenes Label (Zick Zack). Es geht ihm darum Bands zu fördern, die es nicht auf großen kommerziellen Erfolg abgesehen haben. Michael Ruff ist ein weiterer Schreiber, der sich mit den verschiedenen Popstilen zu dieser Zeit auseinandersetzt. Er schreibt sehr sachlich und informativ über Musikstile, die ansonsten redaktionell nicht sehr oft berücksichtigt werden. Der wohl wichtigste Vertreter des Popdiskurses ist jedoch Diedrich Diederichsen, der von 1979 an für Sounds schreibt und später Mitherausgeber von Spex wird. Er ist auch der einzige deutsche Musikjournalist, der seine Plattenkritiken bei einem größeren Verlag veröffentlicht (vgl. Hinz, Cultural Studies 197). Diederichsen beschäftigt sich hauptsächlich damit, ob eine Platte eine „signifikante Äußerung in einem historischen Moment darstellt“. Er berücksichtigt dabei die ästhetischen Eigengesetzlichkeiten von Popmusik und wendet sich auch textlich prägnanten Aussagen zu, nicht wie vorher in Sounds-Kreisen üblich einem höheren Sinngehalt. Aber auch bei Diederichsen gibt es Fehleinschätzungen und Übertreibungen, so schenkt er dem musikalischen Gehalt eines Songs oder einer Band desöfteren nicht genug Beachtung, wenn ihn irgendeine Idee oder Aussage die in der Musik anzutreffen ist, gefällt. Die Parallelisierung von Politik und Musik, wie sie der Autor immer wieder vorkommt, ist zuweilen recht kühn und es geschieht häufiger, daß er Plattenkritiken in Grundsatzerklärungen über den Stand der Dinge in der Popkultur, umwandelt. Dennoch hat Diederichsen im Schreiben über Popmusik Maßstäbe gesetzt, da er ästhetisch-kulturelle und politische Aspekte berücksichtigt. Als letzten Autor von Sounds ist noch Kid P. zu nennen. Er unterscheidet sich von allen anderen Autoren in seiner Schreibweise über populäre Kultur. Intellektuelle Statements sind nicht seine Art, statt dessen berichtet er mit kurzen, schlagzeilenartige Sätzen in polemischer oder euphorischer Art und Weise. Kid P. gibt in seinen Kritiken direkte Anweisungen für den Kauf der jeweiligen Platte, oder eben dies nicht zu tun. Die Verwendung von derartigem Boulevard-Journalismus und die Wahl der Themen, sowie sein Vokabular und seine Pop-Sensibilität machen den einzigartigen Reiz seiner Texte aus (vgl. Hinz, Cultural Studies 215). Sounds stellt 1983 ihr Erscheinen ein, aber Autoren wie Diederichsen und Kid P. haben bis heute entscheidenden Einfluß auf die Schreibweise über populäre Kultur.

V. Spex
Die erste Auflage von Spex. Musik zur Zeit. Erscheint 1980. Nachdem Sounds nicht mehr fortgeführt wurde, entwickelte sich Spex zur wichtigsten Zeitschrift des Pop-Diskurses in Deutschland bis heute. Belege hierfür sind die häufigen Bezugnahmen in anderen Zeitschriften, Zeitungen und Fanzines (vgl. Hinz, Cultural Studies 220). Das Magazin erscheint regelmäßig, obwohl nur geringe Honorare an die Mitarbeiter gezahlt werden können und diese somit eine große Portion Idealismus mitbringen müssen. Als Hauptantrieb für Spex zu arbeiten sieht Hinz den Prestigegewinn in der Szene, da es sich um eine hoch geschätzte Zeitschrift handelt. Man beschäftigt sich mit Popmusik, mit neu auftauchenden oder wiederkehrenden Stilen und behandelt diese im Kontext mit ästhetischen Idealen und politisch-ideologischen Gedanken. Dem Magazin kommt eine Ausnahmestellung zu, da Musiken, Haltungen, Meinungen und Schreibweisen zur Geltung kommen, die man in einer solchen Zusammensetzung sonst nirgendwo findet. Bis zum Beginn der neunziger Jahre gab es immer irgendwelche musikalischen Stilrichtungen, die in Spex-Kreisen besonders gern und vorrangig behandelt wurden. Von Musik der „Deutschen Welle“ und New Wave wandelten sich die Vorlieben zu Hardcore und ähnlichen Stilen in der Zeit als Diedrich Diederichsen und Clara Drechsler Mitte der achtziger Jahre für Spex zu schreiben begannen. In der Phase von 1990-1995 sind keine vorherrschenden Musikrichtungen zu erkennen (vgl. Hinz, Cultural Studies 222). Die Texte in Spex sind entweder objektivierend-sachlich, poptheoretisch informierend oder individualistisch-idiosynkratisch aufgebaut. In der Zeit von 1986-1990 zählt die Mitherausgeberin und New York-Korrespondentin Jutta Koether zu den bedeutendsten Autoren des Magazins. Ihre Kritiken zeugen von feinsinniger Kunstwahrnehmung und dem Bestreben die Atmosphäre der Musik über die sie Rezensiert, für den Leser greifbar zu machen. Nach 1990 beschäftigt man sich mit den unterschiedlichsten Stilistiken, so schreibt Oliver v. Felbert vornehmlich über den Bereich HipHop, während Mark Sikora sich mit dem Feld zwischen Heavy Metal und Hardcore auseinandersetzt. Auch Hans Nieswandt beschreibt Phänomene im Zusammenhang mit HipHop und House und beruft sich dabei auf die Pop-Sensibilität, welche Anfang der achtziger Jahre entstand. In den Jahren von 1992 bis 1994 sind vor allem intellektuell überzogene, oder biedere sich mit alternativer Popmusik beschäftigende, Schreibstile üblich. Der seriöse Musikjournalismus unterscheidet sich vom Vorgänger Sounds lediglich durch zeitlich angehäuftes Wissen über die Popgeschichte. Seit 1995 gibt es Spex-Autoren, wie T. Holert und M. Terkessidis, die es schaffen poptheoretische Ideen, interessante Einfälle und pragmatische Nüchternheit ausgewogen miteinander zu verbinden. Ein hoher Stellenwert bei der Beschäftigung mit populärer Kultur kommt den Spex-Autoren Clara Drechsler, Thomas Hecken, Harald Hellmann und Diedrich Diederichsen zu. Drechsler zeichnet sich dadurch aus, daß sie sich selbst genauso wichtig nimmt, wie die Musik über die sie schreibt. Verschiedenste Eindrücke erscheinen daher gleichgeordnet nebeneinander, es gibt literarisierend-autobiographische Passagen und abgedrehte, sprühende Witzigkeit. Es geht um den Stellenwert von Musik in Ihrem alltäglichen Leben (vgl. Hinz, Cultural Studies 238). Thomas Hecken schreibt drei Jahre lang für Spex. Er versteht es eine nüchterne wissenschaftliche Handschrift mit einfache Ideen des Pop in einzigartiger Weise miteinander zu kombinieren. Darüber hinaus erlebt man ihn als Jazz-Kenner und als einen Autor, der mit der Pop-Sensibilität vertraut ist. In seinen Kritiken bei denen er hohe Wertmaßstäbe ansetzt taucht an geeigneter Stelle immer wieder schwarzer Humor auf. Sie sind formal streng gegliedert und halten sich nicht an Details auf. Pop-ideologische Abgrenzungen und Vorlieben mischt er mit erzählend eingefügten Exkursen und er verzichtet im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen auf prophetische Ratschläge oder Ausblicke (vgl. Hinz, Cultural Studies 254). Als drittes ist Harald Hellmann zu nennen, der seit 1988 relativ unregelmäßig für Spex schreibt. Er ist Fanzine-Pionier und Literaturwissenschaftler und außer seiner Tätigkeit bei Spex Übersetzer für amerikanische Underground-Literatur. Er beschäftigt sich mit allen möglichen Ausprägungen und Erweiterungen von Rock´n´Roll, Surf-Music, Psychobilly, Punk und Hardcore. Sein Schreibstil zeugt von einer gelassenen Haltung, in der er Pop als etwas ansieht, daß sich jenseits der Normalität befindet und somit keiner moralischen Kritik bedarf. Politische Anmerkungen sind bei Hellmann sehr selten. Im Magazin schreibt er häufig Kolumnen, die ihm größere stilistische und thematische Freiheit bieten als Plattenkritiken. Seine zum Teil recht seltsamen Geschichten aus der Popwelt beinhalten sowohl derbe Vulgärsprache, als auch gehobenen literarischen Tonfall (vgl. Hinz, Cultural Studies 258). Als letztes gilt es noch einmal den, bereits im Zusammenhang mit Sounds erwähnten, Autor Diedrich Diederichsen aufzuführen, der sich auch bei Spex darum bemüht das Publikum von den Varianten des Rock-Idioms, die er als aufregendste und fortschrittlichste ästhetisch-politische Tendenzen in der Popmusik ansieht, zu überzeugen. Trotz der Zersplitterung des Underground, wodurch Diederichsens Anstrengungen von übergreifenden Verbindlichkeiten immer schwieriger werden, gehören seine Texte nach wie vor zu den beachtenswerten auf pop-theoretischem Gebiet. Er sieht es bald auch nicht mehr als notwendig an Vertreter des Rock-Idioms und Pop-Anhänger gegeneinander auszuspielen. Seine Neigung sehr grundsätzlich zu werden wird aber, obwohl schon immer vorhanden, eher stärker. „ Schmerzhaft macht sich das Fehlen individualistisch- idiosynkratischer Momente, der Mangel an witzigen selbstreferentiellen Wendungen in Diederichsens Kritiken bemerkbar, die dort noch in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre an der einen oder anderen Stelle auftauchten:...“ (Hinz, Cultural Studies 265). Seit 1989 beschäftigt sich Diederichsen stark mit HipHop, wobei in den Kritiken wenig über die Musik selbst zu erfahren ist. Die Zugehörigkeit der beteiligten Musiker in Organisationen religiös-fundamentalistischer Art und die damit in Verbindung stehenden Texte sind der Hauptbezugspunkt des Autors. Hinz unterstellt Diederichsen, bei allen Verdiensten die jener im Zusammenhang mit populärer Kultur erbracht habe, zudem einen fehlenden Sinn für die Grenzen der Wirkungsmöglichkeiten aufkommender Popmusik (vgl. Hinz, Cultural Studies 268).

Weitere Wissenschaftliche Arbeiten

Magisterarbeit im Fach Musikwissenschaft

J.S. Bach und das Lied (Musikgeschichte)

Pierre Boulez/Structure I A (Analyse/Musik des 20. Jahrhunderts-serielle Musik)

Fusion Jazz (Populäre Musik)

Musik der Zigeuner/Manouche in Frankreich (Musikethnologie)





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